So verbindet eine gemeinsame UX-Vision dein Team

Visionen sind keine Prophezeiungen, sie geben Orientierung, schaffen Bedeutung und verbinden Teams. Eine gute UX Vision zeigt nicht nur, was wir entwickeln, sondern warum und wie sich das später anfühlen soll. Genau das symbolisiert einen Leuchtturm, an dem sich Teams orientieren können, auch wenn der genaue Weg dorthin noch im Nebel versteckt liegt. Warum das so wichtig ist und was wir von Ödipus und Apple über Visionen lernen können erfährst du in diesem Artikel.

vonAlexander GussenberginUX & UI Design

Darum sind Visionen der erste Schritt zur Realität

Wenn ich über Visionen spreche, denke ich immer an meine Schullektüre und zwar nicht im Deutsch-, sondern im Lateinunterricht: die Tragödie von Ödipus. Ihm wurde vorhergesagt, dass er seinen Vater töten und seine Mutter heiraten würde. Und genau das passierte, obwohl er alles tat, um es zu verhindern.

Tragisch, aber ein starkes Bild für die Macht einer Vision: Sie kann Wirklichkeit werden, ob wir es wollen oder nicht. Eine Vision beschreibt also eine mögliche Zukunft. Und allein dadurch, dass wir sie ernst nehmen, beginnt sie, unser Handeln zu lenken. 

Allerdings ist Vision nicht gleich Vision. Während die Unternehmensvision das große "Warum" beschreibt, also den Sinn und Zweck einer Organisation, konkretisiert die Produktvision das "Was": Was soll entstehen und welchen Nutzen soll es stiften? Die UX-Vision schließlich übersetzt beides ins "Wie": Wie soll sich die Nutzung anfühlen? Welche Emotionen wollen wir wecken und welche Erlebnisse schaffen? 

So entsteht ein Zusammenspiel aus Strategie, Produkt und Nutzererlebnis, das Teams Orientierung gibt und sie auf ein gemeinsames Ziel ausrichtet.

So beeinflusste Apple mit einer Vision die Zukunft

Ein gutes Gegenbeispiel zu Ödipus liefert für mich Apple. 1987 stellte der damalige CEO John Sculley ein Gedankenexperiment vor: den sogenannten Knowledge Navigator. Ein fiktives Gerät, eine Art Tablet mit Touchscreen, Spracheingabe und einem intelligenten Assistenten. In einem Video, das Apple damals veröffentlichte, sieht man einen Professor, der mit seinem Gerät spricht, Informationen abruft, Hyperlinks nutzt und per Videoanruf kommuniziert. Damals war das pure Science-Fiction. Doch fast 25 Jahre später, im Oktober 2011, stellte Apple das iPhone 4S mit Siri vor und das nur einen Monat nach dem fiktiven Datum im Video. Für mich ist das ein Paradebeispiel dafür, wie kraftvoll eine Vision sein kann. Sie wird zum Leuchtturm, der Orientierung gibt, Entscheidungen prägt und Teams über Jahre hinweg inspiriert.

Was wir aus Apples Vision lernen können

In einer Welt, die von Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambiguität geprägt ist, der sogenannten VUCA-Welt, ist es selten sinnvoll, Visionen über Jahrzehnte festzuschreiben. Zu schnell ändern sich Märkte, Technologien und Prioritäten. Entscheidend ist eine klare Richtung, die mehrere Jahre trägt und regelmäßig geschärft wird. Eines bleibt jedoch gleich: Eine gute Vision stiftet Orientierung. Eine UX-Vision beschreibt, welches Erlebnis Menschen mit einem Produkt haben sollen. Sie verleiht dem, was wir bauen, Sinn, jenseits von Features und Backlog-Einträgen. Sie macht greifbar, wie Interaktionen aussehen könnten, und zeigt, welche Emotionen wir auslösen wollen.

Eine gute Vision bietet drei Dinge:

  • Richtung: Sie zeigt, wohin wir wollen.

  • Fokus: Sie hilft, Prioritäten zu setzen und bewusst Dinge wegzulassen.

  • Kohärenz: Sie sorgt dafür, dass Entscheidungen auf ein gemeinsames Erlebnis einzahlen.

Wie UX Visionen Teams, Produkte und Unternehmen verbinden

Ich habe in Scrum-Teams oft erlebt, wie schnell die Ebenen auseinanderdriften: UX wird auf hübsche Interfaces reduziert, Produktvisionen werden zu Feature-Listen, und die Unternehmensvision verstaubt als PowerPoint-Datei. Genau hier zeigt sich die Stärke einer UX-Vision. Sie schlägt die Brücke zwischen dem konkreten Nutzererlebnis, dem Warum des Produkts und dem langfristigen Wozu des Unternehmens. Wenn dieser rote Faden stimmt, weiß jedes Teammitglied nicht nur, was zu tun ist, sondern auch warum. Dann wird aus einem Sprintziel mehr als nur ein abgehakter Task und zwar ein Schritt auf dem Weg zu etwas Größerem.

Solche Visionen zeigen, was möglich ist. Nicht, weil sie alles vorhersagen, sondern weil sie das Denken verändern. Sie schaffen ein gemeinsames Bild davon, wo die Reise hingehen kann, und das ist oft der entscheidende Unterschied zwischen Innovation und Zufall.”

Alexander Gussenberg, Senior User Experience Designer

So entwickelst du nutzerzentrierte Visionen

Wie gelingt es, die Nutzersicht schon in der Vision zu verankern? Für mich beginnt das mit Empathie und mit konkreten Werkzeugen, die uns helfen, diese Empathie sichtbar zu machen.

  • Personas sorgen dafür, dass wir nicht für abstrakte Zielgruppen, sondern für echte Menschen mit echten Bedürfnissen gestalten.

  • UX-Faktoren wie Usability, Joy of Use oder Vertrauen machen die Vision messbar. Sie übersetzen abstrakte Ziele, etwa intuitiv, verlässlich oder freudvoll in konkrete Qualitäten, an denen sich Design und Entwicklung orientieren können.

  • Szenarien oder Vision-Videos wie Apples „Knowledge Navigator“ lassen Zukunft greifbar werden: Sie zeigen, wie sich Nutzung anfühlen könnte, nicht nur, wie sie funktioniert.

So entsteht ein gemeinsames Bild davon, was „gute Nutzererfahrung“ eigentlich bedeutet. UX-Faktoren schaffen dabei eine gemeinsame Sprache zwischen Design, Produktmanagement und Entwicklung. Sie helfen Teams, sich immer wieder zu fragen: Zahlt diese Entscheidung auf unsere Vision ein oder entfernen wir uns davon?

Von der Vision zur Umsetzung

Damit eine Vision nicht in der Schublade landet, braucht sie Anknüpfungspunkte im Alltag. Damit das nicht passiert, braucht es Brücken zwischen Vision und Umsetzung. In der Produktentwicklung übersetzen wir unsere UX-Vision deshalb in greifbare Formate: etwa in ein Vision Statement oder ein Product Vision Board, wie es Roman Pichler entwickelt hat. Dieses Board hilft, eine Vision in klare Bestandteile zu übersetzen:

  • Vision: Warum soll das Produkt entstehen? Welche positive Veränderung soll es bewirken?

  • Zielgruppe: Für wen entwickeln wir das Produkt? Welche Märkte oder Marktsegmente sprechen wir an?

  • Bedürfnisse: Welches Problem lösen wir? Welchen konkreten Nutzen stiften wir? 

  • Produkt: Was genau entsteht? Welche Eigenschaften oder Funktionen machen es besonders?

  • Geschäftsziele: Wie zahlt das Produkt auf den Erfolg des Unternehmens ein?

Diese Struktur sorgt dafür, dass Teams das große Ganze im Blick behalten. Sie sehen auf einen Blick, warum es das Produkt gibt, für wen es gedacht ist und wie es sowohl Nutzer:innen als auch das Unternehmen voranbringt. So bleibt die Vision kein schönes Poster an der Wand, sondern wird zu einem lebendigen Werkzeug, das Entscheidungen im Alltag leitet.

Fazit: Visionen als gemeinsamer Ankerpunkt im UX Design

Visionen sind keine Schicksale wie bei Ödipus. Sie sind gestaltbar, inspirierend und wirken als gemeinsamer Anker. Eine gute UX-Vision lässt uns nicht nur verstehen, was wir bauen, sondern auch warum und wie es sich später anfühlen soll. Sie verbindet Strategie mit Nutzererlebnis und wird so zu einem Leuchtturm, an dem wir unsere Arbeit ausrichten können.

Bei slashwhy denken und leben wir UX genau so: Der Mensch im Zentrum. Wir beobachten, testen und gestalten mit dem Ziel, dass Technologie sich einfach, intuitiv, emotional stimmig anfühlt. Unsere Vision ist es, Software zu entwickeln, die nicht nur funktioniert, sondern begeistert. Denn eine gute User Experience beginnt dort, wo Menschen verstehen, warum etwas Sinn macht.

Über den Autor

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    Über Alexander Gussenberg

    Erst mit der nötigen Leidenschaft und Erfindergeist können gemeinsam digitale Innovationen geformt werden. In solch agilen Prozessen ist Alex als Senior User Experience Designer bei slashwhy aktiv. Er ist davon überzeugt, dass man in einer Sache nur gut sein kann, wenn sie einem Spaß macht. Was er macht, erfüllt ihn mit Stolz und Freude. Mit dieser Begeisterung geht er als Teil eines agilen Teams neue Herausforderungen an, um nutzerzentrierte Lösungen zu schaffen.