Vibe-Coding im Hype-Check: Schreibt KI gute Software?

Beim Vibe-Coding übernimmt die KI die ganze Arbeit. Aber wie gut, sicher und wartbar sind die Ergebnisse? Und wer trägt die Verantwortung für den Code?

vonRobin Kalkowski & Johannes KaschinGenAI

In der Software-Welt macht ein neuer Begriff die Runde: Vibe Coding. Gemeint ist eine Arbeitsweise, bei der Entwickler:innen (und auch Nicht-Entwickler:innen) kaum noch selbst programmieren. Stattdessen beschreiben sie ihre Anforderungen in natürlicher Sprache und die KI liefert den passenden Code. Ganze Webseiten, kleine Anwendungen oder Automatisierungen entstehen so in wenigen Stunden. Schnell, direkt und scheinbar mühelos.

Diese Vorstellung fasziniert. Auch wir bei slashwhy beobachten Vibe Coding mit Neugier. Es zeigt, wie weit die KI-gestützte Software-Entwicklung bereits ist und öffnet den Horizont für das, was theoretisch möglich wäre. Wer hätte vor Kurzem gedacht, dass eine einzelne Person mithilfe von Generative AI in kürzester Zeit eine funktionierende Anwendung entwickeln kann?

Doch genau hier beginnt auch unsere kritische Auseinandersetzung. Denn während Vibe Coding für kreative Experimente, Prototyping oder private Projekte erstaunlich gut funktionieren könnte, stellt sich eine zentrale Frage: Taugt dieser Ansatz auch für professionelle Software-Entwicklung? Also für komplexe, skalierbare Produkte, die über Jahre hinweg funktionieren, sicher betrieben und kontinuierlich weiterentwickelt werden sollen?

In diesem Artikel beleuchten wir, was hinter dem Begriff Vibe Coding steckt, warum er uns gleichzeitig begeistert und irritiert und weshalb wir uns in unserer täglichen Arbeit bewusst für einen anderen Weg entscheiden: für AI-Assisted Development.

Vibe Coding: Ein verantwortungsloser Progammierstil?

Der Begriff Vibe Coding wurde Anfang 2025 von Informatiker und KI-Vordenker Andrej Karpathy geprägt. In einem vielbeachteten Beitrag auf der Plattform X (ehemals Twitter) beschrieb er einen neuen Programmierstil, bei dem Entwickler:innen sich vollständig auf die KI einlassen. Der Code entsteht dabei nicht mehr durch manuelles Tippen, sondern durch die kontinuierliche Interaktion mit einem Generative AI-Modell, das auf Befehle, Ideen und Beschreibungen reagiert.

Karpathy selbst formulierte es sinngemäß so: „Man lässt sich auf die Vibes ein, schreibt einfach, was man will, und schaut, was passiert.“ Der Mensch beschreibt, testet, iteriert, die KI entwickelt. Diese Form der KI-gestützten Programmierung verzichtet bewusst auf klassisches Coding-Verständnis. Der Code „existiert nicht mehr“ als etwas, das man Zeile für Zeile kontrollieren oder verstehen muss.

Vibe Coding richtet sich dabei nicht primär an professionelle Entwickler:innen im Produktivbetrieb, sondern findet seinen Ursprung in Hobbyprojekten, experimentellem Prototyping und sogenannten „Weekenders“. Also Anwendungen, die innerhalb eines Wochenendes funktionsfähig sein sollen, aber keine langfristige Pflege oder Integration benötigen.

Die Idee dahinter ist radikal: Wer heute mit KI in der Softwareentwicklung arbeitet, könnte sich bald von Sprachen, Frameworks und Syntax lösen – und mit natürlicher Sprache interaktive Anwendungen erstellen. Die heißeste neue Programmiersprache? Englisch.

Doch diese Vision bringt auch Fragen mit sich. Was passiert, wenn kein Mensch mehr nachvollziehen kann, was die KI gebaut hat? Wie entstehen tragfähige Architekturen, dokumentierte Entscheidungen, oder Tests, die auch in zwei Jahren noch funktionieren? Diese Diskussion wollen wir mit diesem Artikel anstoßen.

Unser Verständnis von Vibe-Coding

Für uns steht Vibe Coding für einen Stil, bei dem Geschwindigkeit vor Verständnis, Exploration vor Struktur und individuelle Kreativität vor Teamfähigkeit steht. Die Rolle der Entwickler:innen wird dabei auf die reine Prompt-Ebene reduziert. Architekturentscheidungen, Codequalität und Wartbarkeit geraten leicht aus dem Blick.

Wir schätzen die kreative Kraft, die in solchen Ansätzen steckt. Gerade für private Projekte, schnelle Experimente oder Proof-of-Concepts. Aber als Unternehmen, das hochwertige digitale Produkte entwickelt, setzen wir auf einen anderen Weg:

Verantwortung braucht Transparenz, überprüfbare Entscheidungen und gemeinsames Lernen im Team. Deshalb verstehen wir Vibe Coding nicht als Modell für unsere Arbeit, sondern als ein Phänomen, das zeigt, wie weit KI bereits ist und wie wichtig es ist, bewusst mit dieser Technologie umzugehen.

Warum Vibe-Coding die Entwickler-Szene spaltet

Wer einmal mit einem modernen KI-Tool wie ChatGPT, Replit oder Copilot gearbeitet hat, kennt das Gefühl: eine Idee eintippen, kurz warten und schon liegt funktionierender Code vor. Ob einfache Webseite, Tool zur Datenverarbeitung oder sogar der erste Entwurf einer kleinen Anwendung: die Einstiegshürden sind extrem niedrig, das Ergebnis wirkt für Nicht-Entwickler überraschend gut. Genau das macht Vibe Coding so verlockend. Es fühlt sich an, als könne man Software entwickeln, ohne wirklich zu programmieren. Die KI antwortet auf natürliche Sprache, liefert Module, verbindet APIs, erzeugt Interfaces. Schnell, direkt, intuitiv.

Für viele ist das mehr als nur technischer Fortschritt, es ist ein Gefühl von kreativer Unabhängigkeit. Die Kontrolle über Stack, Syntax und Build-Prozess wird ausgeblendet, das Denken verschiebt sich: vom Code zur Idee, von der Struktur zur Oberfläche. In dieser Arbeitsweise liegt ein Reiz, der gerade in der schnellen Welt digitaler Produkte besonders stark wirkt.

Dass diese Dynamik Teil eines größeren Trends ist, zeigt auch der Blick in die Branche: KI-gestützte Entwicklung ist längst im Alltag angekommen. Laut einer GitHub-Umfrage nutzen 97 Prozent der Entwickler:innen KI-Tools, nicht im Vibe-Modus, aber im unterstützenden Sinne. Und wenn Microsofts CTO Kevin Scott davon spricht, dass in fünf Jahren 95 Prozent des Codes durch KI generiert werden könnten, wird deutlich: Die technische Basis für Vibe Coding ist da und wird immer besser.

Unser Eindruck: Vibe Coding spaltet die Entwickler-Community. Die einen sind fasziniert davon, wie mühelos sich heute ganze Anwendungen per Prompt erzeugen lassen (Code-Qualität, -Sicherheit usw. mal ausgeklammert). Die anderen lehnen diesen Ansatz strikt ab, weil er für sie im Widerspruch zu sauberem Handwerk, Verantwortung und technischem Verständnis steht. Und auch wenn wir bei slashwhy diese Entwicklung neugierig verfolgen, stellen wir uns eine zentrale Frage: Kann aus dieser Faszination Verantwortung werden? Oder anders gefragt: Was bleibt vom „Wow“ übrig, wenn es nicht mehr um Prototypen geht, sondern um Produkte? Im nächsten Kapitel schauen wir genau dorthin. Denn dort, wo Komplexität, Sicherheit und Nachhaltigkeit gefragt sind, zeigt sich, ob Vibe Coding wirklich hält, was es verspricht.

5 Gründe, weshalb wir von Vibe-Coding abraten

Bei slashwhy beobachten wir technologische Entwicklungen mit großem Interesse und Neugierde - so auch das Vibe-Coding. Aber: Neugierde allein ist keine Grundlage für professionelle Entscheidungen. In unseren Kundenprojekten setzen wir Vibe Coding bewusst nicht ein. Nicht, weil wir Technologie scheuen. Sondern weil dieser Ansatz nicht vereinbar ist mit dem, was wir als professionelle Software-Entwicklung verstehen: Verantwortung, Nachhaltigkeit, Teamfähigkeit. Hier sind fünf Gründe, warum Vibe Coding für uns kein Weg ist:

1. Fehlendes Codeverständnis

Vibe Coding fördert einen Arbeitsstil, bei dem Code oft übernommen, aber nicht verstanden wird. Bei Bugs, Sicherheitslücken oder späteren Erweiterungen fehlt die Grundlage für schnelle, fundierte Entscheidungen. Das erhöht Fehleranfälligkeit und Zeitaufwand. Besonders in stressigen Phasen.

2. Keine Teamtransparenz

Wenn jeder promptet, wie er möchte, entsteht kein gemeinsames Verständnis von Struktur oder Logik. Wissen bleibt individuell. Neue Teammitglieder, externe Partner oder andere Abteilungen können sich schwer einarbeiten, was die Zusammenarbeit ineffizient und fehleranfällig macht.

3. Keine Standards, keine Prozesse

Vibe Coding folgt keinem strukturierten Vorgehen, sondern einer schnellen Versuch-und-Irrtum-Logik. Architekturentscheidungen passieren implizit, Testabdeckung ist zufällig, Reviews werden umgangen. Damit ist kein verlässlicher Delivery-Prozess möglich. Besonders bei wachsendem Scope oder unter regulatorischem Druck.

4. Fehlende Wartbarkeit

Was heute „funktioniert“, wird morgen schnell zum Problem. KI-generierter Code ist nicht per se schlecht, aber oft inkonsistent, ohne Namenskonventionen, modulares Denken oder Fehlertoleranz. Wartungskosten steigen überproportional, technologische Entscheidungen lassen sich nicht langfristig tragen.

5. Gefahr des Kompetenzverlusts

Wenn Entwickler:innen sich dauerhaft auf die KI verlassen, leidet die Fähigkeit, komplexe Probleme eigenständig zu analysieren und zu lösen. Das Team wird abhängig von externen Tools und verliert an technischer Souveränität. Langfristig fehlt es an Entscheidungskompetenz im Projekt. Technische Entscheidungen werden seltener hinterfragt, Alternativen nicht mehr durchdacht.

Wir sind überzeugt: Professionelle Software-Entwicklung braucht mehr als lauffähigen Code. Sie braucht Struktur, Austausch, Qualitätssicherung und Teams, die wissen, was sie tun. Deshalb nutzen wir Vibe Coding nicht. Wir setzen stattdessen auf AI-Assisted Development: einen klar definierten Rahmen, in dem KI produktiv unterstützt, aber Verantwortung, Verständnis und Prozessklarheit im Team bleiben. Wie das in der Praxis aussieht, zeigen wir im nächsten Kapitel - und mit konkreten Tipps für Führungskräfte auch in diesem Artikel.

Wie wir KI in der Software-Entwicklung einsetzen

Wir bei slashwhy nutzen KI in unseren Projekten, sofern es unsere Kunden zulassen oder sogar wünschen. Allerdings distanzieren wir uns an dieser Stelle vom Vibe-Coding. Statt den kompletten Entwicklungs-Prozess der KI zu überlassen, setzen wir auf AI-Assisted Development im kontrollierten und regulierten Rahmen. Dabei unterstützt uns die KI bei kleineren Aufgaben, die sich gut automatisieren lassen: zum Beispiel bei der Generierung von Boilerplate-Code oder bei einfachen Testdaten.

Was uns dabei wichtig ist: Die Themen Sicherheit, Datenschutz und Kundenanforderung stehen an erster Stelle. Steht unser Kunde dem Thema KI kritisch gegenüber, verzichten wir komplett auf dessen Anwendung - und Effizienzvorteile gleichermaßen.

Ebenfalls wichtig: Die Verantwortung bleibt immer im Team. Kein Code wird blind übernommen, jede Entscheidung wird nachvollziehbar getroffen und vor allem gemeinsam reflektiert. Die KI liefert Vorschläge, wir treffen Entscheidungen. Diese Arbeitsweise funktioniert, weil wir sie in unsere bestehenden Prozesse eingebettet haben. Die gleichen Standards gelten für KI-generierten Code wie für von Hand geschriebenen. Wir reviewen, dokumentieren, testen und entscheiden gemeinsam, was sinnvoll ist und was nicht.

Wenn du überlegst, wie KI sinnvoll in deine Entwicklungsprozesse passen könnte, lohnt es sich, klare Leitplanken zu definieren. Nicht alles, was sich automatisieren lässt, sollte es auch. Es ist hilfreich, gemeinsam im Team zu klären, wann KI ein sinnvolles Werkzeug ist und wo sie die Qualität, das Verständnis oder die Zusammenarbeit gefährden könnte.

Unser Ziel ist nicht, jeden Schritt zu beschleunigen. Unser Ziel ist es, Raum für die wirklich wichtigen Aufgaben zu schaffen: bessere Architekturentscheidungen, klarere Kommunikation und tragfähige Lösungen.

KI kann dabei ein wertvolles Werkzeug sein, aber sie bleibt ein Werkzeug und muss verstanden werden, um sinnvoll genutzt zu werden. Dafür braucht es nicht nur Prozesse und Freigaben, sondern auch Austausch im Team, kontinuierliches Lernen und gemeinsame Standards. Wie wir AI-Assisted Development konkret einsetzen und wie unsere Führungskräfte einen sicheren, produktiven Rahmen dafür schaffen, liest du hier.

Vibe Coding: Zwischen Hype und Haltung

Vibe Coding ist aus technologischer Sicht faszinierend. Keine Frage. Der Gedanke, Software mit KI einfach per Sprache entstehen zu lassen, klingt und ist verlockend. Aber genau deshalb braucht es einen klaren Blick. Denn nur weil etwas beeindruckend schnell funktioniert, ist es nicht automatisch der richtige Weg. Vor allem dann nicht, wenn du langfristig tragfähige, sichere und wartbare Produkte entwickeln willst.

Wir sehen Vibe Coding als spannendes Experimentierfeld. Für uns hat es in professionellen Projekten aber keinen Platz. Stattdessen setzen wir auf AI-Assisted Development: eine Arbeitsweise, in der KI gezielt unterstützt, aber nicht entscheidet. In der Qualität nicht automatisiert, sondern verantwortet wird. Und in der Teams gemeinsam lernen, was gut funktioniert und was nicht.

Wenn du in deinem Unternehmen über den Einsatz von KI in der Entwicklung nachdenkst, stell dir weniger die Frage, wie schnell du damit wirst. Stell dir die Frage, wie bewusst du dabei bleiben willst. Denn Tempo ist kein Selbstzweck und Verantwortung lässt sich nicht prompten.

Klingt spannend?

Du möchtest KI in deinen Entwicklungsprozess integrieren und zunächst abwägen, was möglich und sinnvoll für dein Team ist?

Sprich uns gern an – wir freuen uns darauf, gemeinsam an deinen ersten KI-Initiativen zu arbeiten.

Über die Autoren

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    Über Robin Kalkowski

    Robin ist Mobile Developer in der Consumer Electronics Crew bei slashwhy und hat in verschiedenen Unternehmensgrößen, von Start-ups bis zu Konzernen, wertvolle Erfahrungen gesammelt. Seine Leidenschaft gilt der Entwicklung von Software-Lösungen, die technisch gut umgesetzt und benutzerzentriert sind. Robin setzt auf kontinuierliche Verbesserung, enge Zusammenarbeit und eine klare Ausrichtung auf die Bedürfnisse der Nutzer, um nachhaltige Lösungen zu schaffen. Dabei interessiert er sich nicht nur für neue Technologien, sondern auch für die Weiterentwicklung von Prozessen, die Software-Entwicklung effizienter und zukunftsfähiger machen.

  • johannes-kasch

    Über Johannes Kasch

    Komplizierte Themen aus der Digitalwirtschaft möglichst einfach erklären und emotional aufladen: Diese Mission verfolgt Johannes Kasch in seiner täglichen Arbeit bei slashwhy. Als Content Marketing Specialist ist er z.B. in unsere Social Media Profile und diesen Blog involviert. Mit 10 Jahren Erfahrung in Medienproduktion, Brand Building und Redaktion unterstützt der studierte Kommunikationswissenschaftler unsere Branchenexpert:innen beim Vermitteln von Fachwissen oder gibt unseren Leser:innen Einblick in spannende Software-Projekte.