KI verändert die Arbeit von UX Expert:innen. Wie bei allen Werkzeugen kommt es stark drauf an, wie es eingesetzt wird - das Ergebnis kann sehr gut sein, es kann aber auch in eine offensichtlich generische Richtung gehen. Denn wo auf der einen Seite Beschleunigung und Skill-Levelling locken, droht auf der anderen Seite der Fokus auf methodisch fundierte UX-Expertise verloren zu gehen. Und damit auch die Frage: "Wer sind eigentlich meine Nutzer:innen?".
UX-Design mit KI-Support hat klare Grenzen
Immer mehr Unternehmen investieren in Kompetenzen rund um künstliche Intelligenz. Auch im UX-Design ist das sinnvoll. Hier hilft KI z.B. beim Auswerten von Nutzerfeedback, beim Generieren von Text- und Layout-Vorschlägen oder beim Erkennen von Mustern in Klickpfaden. Das spart Zeit und beschleunigt mühselige Fleißarbeit. Die Hürde wird kleiner, eher unbeliebte Themen wie Accessibility und auch User Research in die Entwicklung einzubinden.
Doch an dieser trügerischen Stelle beobachten wir, dass der Einsatz von KI im User Experience Design klare Grenzen hat. Es entsteht der Eindruck, viele UX-Entscheidungen könnten datenbasiert ganz ohne menschliche UX Professionals getroffen werden. Schließlich lässt sich der Designprozess ja nachlesen, während GenAITools auf Knopfdruck Prompts, Flows und Wireframes liefern. (Und eigentlich braucht man auch keine Programmierer:innen mehr, denn am Ende wird automatisch Code ausgeliefert.)
Allerdings hängt die Qualität der Ergebnisse bekanntermaßen direkt von den Daten ab, auf denen die KI trainiert wurde. Kurz: "Shit in = shit out." Oder auch ausführlicher: Weil KI überzeugend formuliert und gerade bei den gängigsten UI- und Design-Pattern Zugriff auf das gesamte Internet hat, entsteht der Eindruck, man könne sich den direkten Kontakt zu echten Nutzer:innen sparen. Wer mit einer KI-generierten Persona Designfragen „bespricht“, muss vorher verstanden haben, wie diese Persona zustande kommt und auf welchen Daten sie basiert. Wenn es um echte Märkte und reale Menschen geht, sollten die Entscheidungen auch auf echten, validen Erkenntnissen basieren.
UX-Design bedeutet ein Menschenverständnis, das keine KI liefern kann
Schon lange vor dem KI-Hype wurde User Experience Design eher als Methodenkoffer für ästhetische Probleme verstanden denn als nutzerzentrierte Produktentwicklungs-Strategie. Nutzertests wurden gestrichen, der Wert von echten Beobachtungen gar nicht erst erkannt, sondern direkt mit Annahmen gestartet. Mit KI in Designprozessen kann sich diese Entwicklung verschärfen. Gute, genau passende User Experience entsteht jedoch nur durch echtes Verständnis für die Menschen, die mein Produkt nutzen. Durch Kontakt, durch Beobachtung, durch Nachfragen und durch das Annehmen von Kritik. UX-Expert:innen, die langfristig an einem Produkt arbeiten, entwickeln eine Beziehung zur Nutzerschaft. Sie haben erlebt, wie ihr Design in Tests gescheitert ist und wie wichtig es war, daraus zu lernen.
KI kann Research und Design beschleunigen und für weniger erfahrene Teams zugänglich machen. Aber gerade dann braucht es einen Ort für den Realitätscheck. Auch wenn Nutzertests automatisiert und asynchron durchgeführt und ausgewertet werden: Ob die Methode überhaupt zur Fragestellung passt, ob Ergebnisse wirklich plausibel sind und was das für eine nächste Iteration heißt, kann nur jemand mit entsprechender Berufserfahrung einordnen. Der Kern des Mehrwerts von UX-Design, nämlich das Risiko von Fehlentwicklungen zu reduzieren, würde ohne die Beteiligung von menschlichen UX Expert:innen absurderweise aufgehoben.
Und auch wenn Budgets auf Tempo und Effizienz setzen: Die Lebensrealitäten von Menschen (insbesondere in körperlich geprägten Berufen) folgen keiner agilen Velocity. Wer ernsthaft nutzerzentriert entwickeln will, muss sich auf das Tempo der Menschen einlassen. Product Owner und Produktmanager:innen sollten das keineswegs als Bremse ansehen, sondern als die beste Versicherung gegen Feature Creep und Fehlinvestitionen. UX bedeutet: sich Zeit nehmen und diese Zeit als Wertschätzung für Nutzer:innen zu begreifen.
Mehr KI, mehr Produkte und mehr Beliebigkeit?
Durch die Beschleunigung mit KI könnten bald Ideen schneller realisiert und so tatsächlich auch früher im Markt getestet werden - "fail fast" und "fast early" im wahrsten Sinne des Wortes. Wo bisher zwei Apps miteinander konkurriert haben, würden direkt mehrere versprechen, das gleiche Problem zu lösen. Was sich technisch korrekt und schnell umsetzen lässt, wird noch lange nicht für reale Nutzer:innen relevant. In Kombination mit KI generierten, automatisierten Marketingprozessen wird die Lautstärke im Kampf um Aufmerksamkeit womöglich steigen und neue Formen von "AI generated Content Blindness", die Nachfolger von Banner Blindness, erzeugen.
Was fehlt, ist Differenzierung. Und die entsteht nicht durch Geschwindigkeit, sondern durch präzises Verständnis. Durch Neugier kombiniert mit Methoden und Erfahrung. Durch die Fähigkeit, sich in die Nutzungskontexte echter Menschen hineinzudenken. In einem überfüllten digitalen Markt reicht es sowieso nicht mehr, ein Problem nur irgendwie zu lösen. Das allein ist nach wie vor immer noch schwer genug - die meisten Startups scheitern immer noch am fehlenden Product-Market-Fit. Gerade weil KI Standardantworten liefert, wird "non-standard thinking" zur Schlüsselkompetenz. Echte interdisziplinäre, kollaborative und iterative Zusammenarbeit eines Teams wird einen höheren Stellenwert bekommen. Denn erfolgreiche, digitale Produktentwicklung wird immer noch darin bestehen, die bestmögliche Lösung im Spannungsfeld von Nutzerperspektive, Technik und Business zu erarbeiten. Genau hier beginnt kreative, menschliche Problemlösung. Wer das erkennt, macht nicht einfach nur mehr Produkte, sondern bessere.
Fazit: Nutzerzentrierung ist kein Luxus, sondern Zukunftssicherung
Die Unterstützung von KI im UX-Design ist präsent und sinnvoll. Doch wir sehen klare Grenzen in diesem neuen Produktivitätshebel. Denn die KI liefert Vorschläge, aber kein echtes Verständnis. Was auf den ersten Blick gut aussieht, bleibt womöglich oberflächlich. Ohne echten Bezug zu Menschen entstehen Lösungen, die generisch wirken und die Bedürfnisse der Nutzer:innen verfehlen. Kurzfristige Effizienz kann so langfristig Qualität und Vertrauen gefährden.
Deshalb gilt: Wer in KI investiert, sollte ebenso in UX investieren. Nicht nur in Tools, sondern in Menschen, die beobachten, zuhören und Verantwortung übernehmen. UX braucht Nutzerkontakt, Methoden und die Fähigkeit, KI-Ergebnisse kritisch einzuordnen. UX Methoden werden an Bedeutung gewinnen: als Realitätscheck für algorithmisch erzeugte Vorschläge. Der größte Mehrwert von richtig angewendetem UX-Design ist Fehlentwicklungen zu reduzieren, indem Hypothesen mit Nutzer:innen getestet werden bevor überhaupt Code geschrieben wird.
Gerade in Zeiten, in denen KI-gestützte Tools wie Vibe Coding, generativer Content oder No-Code-Plattformen den Markt mit schnellen Lösungen fluten, braucht es UX-Expert:innen, die den Fokus auf echte Menschen konsequent verteidigen.