Energiewende und Digitalisierung: Kann man das trennen?

Digitalisierung gilt als einer der wichtigsten Hebel für die Energiewende. Doch viele Netzbetreiber fühlen sich schlecht aufgestellt. Im Video-Interview untersuchen wir gemeinsam mit Andreas Piepenbrink von E3/DC, ob und wie sich diese Lücke zwischen Anspruch und Realität mithilfe von Software schließen lässt.

vonNiklas Tüpker, Andreas Piepenbrink & Johannes KaschinCleanTech

Laut einer aktuellen Studie des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) sehen 78 % der Netzbetreiber in der Digitalisierung den wichtigsten Hebel für die Energiewende, doch nur 32 % fühlen sich ausreichend darauf vorbereitet. Diese Diskrepanz zeigt: Zwischen Anspruch und Realität klafft noch eine große Lücke.

Wie lässt sich diese Lücke schließen? Welche Rolle spielt Software? Und warum ist sie weit mehr als nur ein technisches Hilfsmittel? Über diese Fragen hat Niklas Tüpker von slashwhy mit Andreas Piepenbrink, CEO von E3/DC, gesprochen. Im Gespräch gibt Piepenbrink klare Antworten: Er ordnet den Stand der Digitalisierung in der Energiewirtschaft ein, benennt Hemmnisse und Chancen und erklärt, warum Software für ihn Enabler und Betriebssystem der Energiewende ist. Außerdem verrät er, welche drei Schritte er als Bundes-Digitalminister sofort umsetzen würde, um die Digitalisierung wirksam voranzubringen.

Hinweis: Dieses ist #1 von insgesamt 4 Gesprächen zwischen Niklas Tüpker und Andreas Piepenbrink.

Fragen & Antworten aus dem Interview

Welcher Markt oder welche Industrie in Deutschland ist am weitesten in Sachen Digitalisierung? Und warum hängt gerade die Energiewirtschaft hinterher?

Andreas Piepenbrink sieht Deutschland im Bereich Industrie 4.0 vergleichsweise gut aufgestellt. Das liege am starken Mittelstand und der industriellen Tradition, die auch eigene Software-Lösungen hervorgebracht habe. In anderen digitalen Feldern wie Big Data, Payment oder Cloudtechnologien sei Deutschland dagegen eher Mitläufer, vor allem im Vergleich zu den USA und China.

Ganz anders stellt sich die Lage in der Energiewirtschaft dar. „In der Energiewirtschaft ist das ein ganz junges Thema, um es mal positiv zu formulieren“, sagt Piepenbrink. Besonders herausfordernd sei die extrem zersplitterte Struktur in Deutschland: Mit rund 960 Stadtwerken und über 900 Netzbetreibern habe jeder sein eigenes Regelwerk im Gegensatz zu Ländern mit zentralen Netzstrukturen wie Frankreich. Diese Fragmentierung erschwere übergreifende digitale Lösungen erheblich.

Hinzu komme der Charakter der Branche als halbstaatliches, kommunales Konstrukt mit einem sogenannten Kostplusansatz: „Man muss nicht zwingend wie ein normales Industrieunternehmen Gewinn durch freien Wettbewerb erwirtschaften“, erklärt Piepenbrink. Stattdessen gehe es eher um Versorgungsaufträge als um Effizienz oder Innovationsdruck.

Diese Rahmenbedingungen führten zu einer gewissen Trägheit und einem Mangel an agiler Innovationskultur. Der Startup-Gedanke oder die Prinzipien der New Economy seien in der Energiewirtschaft kaum ausgeprägt, was den digitalen Wandel zusätzlich bremse.

Was sind die größten Hemmnisse für digitale Lösungen in der Energiewirtschaft? Technisch, organisatorisch oder regulatorisch?

Für Andreas Piepenbrink gibt es nicht das eine Haupthindernis für digitale Lösungen, sondern eine Mischung aus technischen, organisatorischen und regulatorischen Hürden. Besonders die Regulatorik spiele dabei eine doppelte Rolle: Einerseits schütze sie bestehende Strukturen, andererseits werde sie bewusst genutzt, um Wettbewerb zu begrenzen. „Die Regulatorik wird natürlich auch genutzt als Protektionismus. Man versucht über Regulatorik sein Geschäftsmodell abzusichern“, erklärt er.

Er verweist darauf, dass Investitionen in der Energiewirtschaft traditionell über Umlagen vom Steuerzahler finanziert würden, klassisch eigenwirtschaftlich investiert habe man selten bis nie. Unter diesen Bedingungen fehle der Innovationsdruck, neue digitale Lösungen einzuführen.

Auch organisatorisch sei die Branche oft schwerfällig. Netzbetreiber stünden dabei besonders im Fokus, weil sie zentrale Akteure im Antragswesen und im Zusammenspiel mit Erzeugern und Prosumer:innen seien. Hinzu kämen neue Herausforderungen durch Flexibilitätsmärkte und Smart-Energy-Konzepte, die zusätzliche Anpassungen und Kooperationen erforderten.

Welchen Stellenwert hat Software in der Energiewende? Ist sie Werkzeug, Enabler oder Voraussetzung?

Für Andreas Piepenbrink ist Software nicht nur ein Hilfsmittel, sondern Enabler und Betriebssystem der Energiewende. „Ich brauche Software als Enabler, aber ich brauche sie auch als Betriebssystem“, sagt er.

Sie sei in allen Bereichen unverzichtbar: im Gebäude, um Anlagen zu steuern und zu koordinieren; im Energiemanagement, um Assets mit dem Markt zu verbinden; und bei der Vermarktung, um Strom zu handeln oder weiterzuverkaufen. Software ermögliche es, Verbrauch und Erzeugung präzise zu prognostizieren und den Betrieb aller Anlagen optimal aufeinander abzustimmen.

Darüber hinaus sieht Piepenbrink in Software den Schlüssel zu mehr Transparenz, Energieeinsparung und Effizienz. Sie mache komplexe Energiesysteme steuerbar und ermögliche so, dass die technischen Möglichkeiten der Energiewende im Alltag zuverlässig funktionieren.

Was kann Software leisten, was Hardware allein nicht schafft?

Der Unterschied ist klar, beschreibt Andreas Piepenbrink: Hardware liefert die Basis, Software macht sie nutzbar. „Die Hardware ist ja sozusagen das Auto, was nicht fahren kann, und der Fahrer ist die Software“, erklärt er.

Ohne Software lasse sich weder die Steuerung einzelner Geräte noch die Verbindung zu Märkten umsetzen. Sie sei notwendig direkt auf dem Gerät, ähnlich wie bei einem Smart-TV, und ebenso in Form von Cloud-Plattformen, die Geräte im Gebäude oder in größeren Einheiten wie Energiegemeinschaften und Inselnetzen koordinieren.

Piepenbrink verweist auch auf den Day-Ahead-Markt: Schon heute würden rund 50 % des deutschen Strombedarfs dort gehandelt. Prognosen, Handelsentscheidungen und die Abstimmung aller beteiligten Assets seien ohne Software undenkbar. Für ihn ist klar: Mit steigendem Digitalisierungsgrad werde dieser Anteil weiter wachsen – und damit auch die Bedeutung von Software als Steuerungs- und Vernetzungsinstrument.

Wie bringt man Kunden, Geräte und Märkte sinnvoll zusammen, digital wie inhaltlich?

Kunden, Geräte und Märkte lassen sich nach Andreas Piepenbrink nur mit einem ganzheitlichen Ansatz verbinden. „Ich muss diese Systemlösung ähnlich eines IT-Systems betreiben und vor allen Dingen brauche ich dazu auch Projektmanagement“, sagt er.

In der Praxis bedeute das: Ein Hersteller könne allein nur dann erfolgreich sein, wenn er über Projektmanagement, Spezialvertrieb und die passende Software verfüge. Letztere müsse die Lösung für den Kunden verständlich und nutzbar machen.

Zentral sei dabei das Energiemanagement, es koordiniere die verschiedenen Assets und sei im Markt längst Standard. Piepenbrink vergleicht einen dezentralen Prosumer (Produzent und Konsument gleichzeitig) mit einem kleinen Kraftwerk, das im Verbund mit anderen zu einem virtuellen Kraftwerk werde. Dieses Zusammenspiel aus Software und Projektmanagement sei die Grundlage dafür, dass Kunden, Geräte und Märkte effektiv miteinander vernetzt werden können.

Wie entwickelt sich das Thema Interoperabilität zwischen Herstellern? Ist da Bewegung drin oder bleibt jeder bei sich?

Laut Andreas Piepenbrink gibt es zwar Fortschritte, aber das Ziel einer echten Interoperabilität ist noch weit entfernt. „Das Thema Interoperabilität ist, glaube ich, schon ein Wunschtraum, der nur zum Teil Wirklichkeit wird“, sagt er in diesem Kontext.

Zwar existieren in einigen Bereichen bereits klare Industriestandards, so etwa beim Laden von Elektrofahrzeugen mit Typ-2-Norm oder über PWM/PLC-Techniken. In anderen Segmenten, wie etwa bei Wärmepumpen, seien die Standards jedoch diffus. Hersteller hätten sich oft jahrelang mit proprietären Lösungen wie Modbus beholfen, bevor einzelne auf neue Ansätze wie EEBus oder Edge-Devices umgestiegen seien. Häufig verkaufe jeder Anbieter weiterhin seine eigene Cloudanbindung.

Für Piepenbrink gibt es aktuell zwei Wege zu mehr Kompatibilität: Entweder Hersteller und Projektierer schaffen sie gezielt selbst, oder es entstehen offene Plattformen, die Interoperabilität ermöglichen. Hinzu kämen Herausforderungen wie die Datensicherheit, die im Energiebereich besonders sensibel sei. Stand heute bleibe die Integration neuer Geräte ins heimische Energiemanagementsystem für die meisten eher ein Wunschtraum, vielleicht in fünf bis zehn Jahren Realität.

Wie müsste aus Kundensicht ein ideales digitales Energiesystem aussehen, in dem alles reibungslos zusammenspielt?

Für Andreas Piepenbrink orientiert sich ein ideales digitales Energiesystem an den Prinzipien einfacher, intuitiver Technologie. „Apple hat das ja […] ganz gut gelöst, weil es intuitiv bedienbar ist, weil es wenig Ärger gibt, weil ich einfach das machen kann, was ich gerne möchte“, sagt er.

Übertragen auf die Energie bedeute das: Kund:innen wollen sich nicht um technische Details kümmern, sondern erwarten, dass das System im Hintergrund für maximale Einsparungen sorgt - unabhängig davon, wie dies technisch geschieht. Die Energie müsse sauber und günstig sein, ohne dass Nutzer:innen sich ständig damit befassen müssen.

Entscheidend sei zudem Service und Support: Wer in ein Energiesystem investiert, wolle sich darauf verlassen können, dass im Problemfall kompetente Unterstützung bereitsteht. Für Piepenbrink ist diese langfristige Betreuung ein zentraler Bestandteil eines reibungslos funktionierenden Energiesystems.

Wenn du morgen Bundes-Digitalminister für die Energiewende wärst, was wäre deine erste Amtshandlung?

Für Andreas Piepenbrink gäbe es als Digitalminister für die Energiewende drei zentrale Maßnahmen. „Man muss einheitliche Anschlussbedingungen haben […] Es kann nicht sein, dass in Nordhorn und Osnabrück und München und Hamburg alles anders ist“, sagt er.

Zweitens müsse ein zeitvariables Tarifsystem eingeführt werden, das Verbraucher:innen durch Preisanreize zu einem flexiblen Energieverbrauch motiviert, etwa indem Strom mittags günstiger und nachts teurer sei.

Drittens würde er den Smart-Meter-Rollout beschleunigen, fördern und teilweise verpflichtend machen, um die Grundlage für ein intelligentes, vernetztes Energiesystem zu schaffen. Für Piepenbrink sind diese drei Schritte entscheidend, um die Digitalisierung der Energiewende wirksam voranzubringen.

In der Energiewirtschaft ist das ein ganz junges Thema, um es mal positiv zu formulieren. Wir haben 960 Stadtwerke und über 900 Netzbetreiber, jeder mit seinen eigenen Vorschriften. Das ist ein halbstaatliches, kommunales Konstrukt mit Kostplusansatz. Und das bringt viel Trägheit und wenig Agilität.”

Andreas Piepenbrink, CEO von E3/DC

Fazit

Das Gespräch mit Andreas Piepenbrink macht deutlich: Die Energiewende braucht Digitalisierung und Software ist dabei weit mehr als eine technische Ergänzung. Sie ist das Betriebssystem, das Erzeugung, Speicherung und Verbrauch intelligent verbindet und so Effizienz und Flexibilität ermöglicht.

Doch damit diese Möglichkeiten wirken, müssen auch die Rahmenbedingungen stimmen. Einheitliche Standards, verlässliche Anreize und eine klare regulatorische Linie sind unverzichtbar, um Fortschritt nicht an kleinteiligen Strukturen scheitern zu lassen. Oder wie Andreas Piepenbrink es im Gespräch formuliert: „Es kann nicht sein, dass in Nordhorn und Osnabrück und München und Hamburg alles anders ist.“

Die Botschaft ist klar: Jetzt gilt es, Insellösungen zu überwinden und die Digitalisierung der Energiewirtschaft als gemeinsames Projekt voranzutreiben, um ein Energiesystem zu schaffen, das nicht nur nachhaltig, sondern auch vernetzt und zukunftsfähig ist.

Über die Autoren

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    Über Niklas Tüpker

    Niklas ist Enthusiast für agile Softwareentwicklung. Als Business Manager im Bereich CleanTech bei slashwhy betreut er mit seinem Team vom Standort Osnabrück aus namhafte Kunden aus dem Energieumfeld und weiteren Industriezweigen. Seine Passion: Kunden und deren Business Case verstehen und durch großartige Software und partnerschaftliche Zusammenarbeit auf Augenhöhe zu Fans machen!

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    Über Andreas Piepenbrink

    Andreas Piepenbrink ist CEO und Mitgründer von E3/DC, einem der führenden Anbieter für Hauskraftwerke und Energiespeicherlösungen in Deutschland. Unter seiner Leitung hat sich das Unternehmen zu einem wichtigen Treiber der dezentralen Energiewende entwickelt. Piepenbrink gilt als Verfechter intelligenter, vernetzter Systeme, die Erzeugung, Speicherung und Verbrauch optimal aufeinander abstimmen. Mit seinem tiefen Verständnis der Branche und einem klaren Blick für technologische Trends verbindet er wirtschaftliche Perspektiven mit dem Ziel, die Energiewende zuverlässig und bezahlbar zu gestalten.

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    Über Johannes Kasch

    Komplizierte Themen aus der Digitalwirtschaft möglichst einfach erklären und emotional aufladen: Diese Mission verfolgt Johannes Kasch in seiner täglichen Arbeit bei slashwhy. Als Content Marketing Specialist ist er z.B. in unsere Social Media Profile und diesen Blog involviert. Mit 10 Jahren Erfahrung in Medienproduktion, Brand Building und Redaktion unterstützt der studierte Kommunikationswissenschaftler unsere Branchenexpert:innen beim Vermitteln von Fachwissen oder gibt unseren Leser:innen Einblick in spannende Software-Projekte.